Pflichtteilsergänzungsansprüche
Die deutsche Rechtsordnung begünstigt die nächsten Angehörigen des Erblassers insoweit, als diese auch bei einer Enterbung zumindest ihren Pflichtteil erhalten. Dies gilt für Kinder und Ehegatten, unter bestimmten Voraussetzungen auch für Eltern, Enkel und Urenkel. Der Pflichtteil entspricht dabei immerhin der Hälfte dessen, was dem Berechtigten als gesetzlichem Erbe zugestanden hätte.
Um zu vermeiden, dass unliebsame Angehörige nach dem Tode vom Nachlass profitieren, werden verschiedene Wege gesucht. Eine Möglichkeit besteht darin, Vermögensgegenstände bereits zu Lebzeiten an liebsame Verwandte oder Freunde zu übertragen, damit sie später nicht in den Nachlass fallen. Allerdings hat der Gesetzgeber auch hier Grenzen gezogen, da eine unbegrenzte Aushöhlung der Pflichtteilsansprüche eben nicht möglich sein soll. An dieser Stelle kommen die so genannten Pflichtteilsergänzungsansprüche ins Spiel. Schenkungen an Dritte, die den Pflichtteilsanspruch eines Berechtigten mindern würden, werden dem Nachlass fiktiv zugerechnet. Die Vermögenswerte werden bei der konkreten Berechnung des Pflichtteilsanspruchs so behandelt, als würden sie sich noch im Nachlass befinden.
Wichtig ist, dass für die Berücksichtigung der Schenkungen zeitliche Grenzen gelten. Der zu berücksichtigende Wert schmilzt im Rahmen einer 10-Jahresfrist ab, je länger die Schenkung zurückliegt. Pro Jahr sind dabei 10% weniger zu berücksichtigen, erfolgte die Schenkung im 11. Jahr vor dem Erbfall, dann findet gar keine Berücksichtigung mehr statt.
Etwas anderes gilt jedoch bei Schenkungen an Ehegatten. Hier beginnt die 10-Jahresfrist erst mit dem Ende der Ehe. Hat diese bis zum Tode des Erblassers angedauert, dann wird der Wert der Schenkung vollständig berücksichtigt.
Der praktische Fall:
Herr Wilms aus Uetersen ist verstorben und hat seine Ehefrau Trudi und seine Tochter Mareike zu Erben eingesetzt. Sein Sohn Wolfgang ist somit enterbt und will seinen Pflichtteil geltend machen. Er weiß, dass sein Vater vor 20 Jahren eine Eigentumswohnung in Schenefeld an die erste Ehefrau verschenkt hatte. Die Ehe wurde vor 8 Jahren geschieden. Vor 6 Jahren erfolgte eine größere Schenkung von Bargeld an die Tochter Mareike. Vor drei Jahren schließlich verschenkte der Vater ein Mehrfamilienhaus in Quickborn an die zweite Ehefrau Trudi. Wolfgang möchte von seinem Rechtsanwalt wissen, inwieweit die Schenkungen bei der Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs zu berücksichtigen sind.
Die 10-Jahresfrist für die Schenkung an die erste Ehefrau begann mit der Scheidung vor 8 Jahren zu laufen, die Schenkung ist daher noch mit 30% des Wertes zu berücksichtigen. Die Frist für die Schenkung an die Tochter begann vor 6 Jahren, eine Berücksichtigung erfolgt demnach mit 50% des Wertes. Für die Schenkung zugunsten der zweiten Ehefrau ist die Frist niemals angelaufen, da die Ehe erst mit dem Tode des Vaters endete. Der Wert ist somit vollständig zu berücksichtigen.